Guadeloupe

Obwohl der Schlag über den Atlantik noch vor uns liegt, kehren wir bereits heute nach Europa zurück. Wir dürfen wieder mit Euro bezahlen, die Autos fahren endlich wieder auf der richtigen, also rechten Seite und das Allerbeste: Es gibt EU-Roaming. Wir haben wieder ein schnelles 4G-Internet!

Dieses Glück haben wir Frankreich zu verdanken: Merci beaucoup, douce France! 

Frankreich nämlich hat sich diese Insel, die eigentlich zwei große und mehrere kleine Inseln umfasst, bereits im 18. Jahrhundert einverleibt und seitdem nicht mehr rausgerückt. Bis heute ist Guadeloupe ein sogenanntes französisches Überseedepartement und damit Teil der EU.

Und tatsächlich kommt einem alles gleich irgendwie vertraut vor, insbesondere wenn man Frankreich gut kennt. Guadeloupe besteht, wie eingangs kurz erwähnt, aus zwei großen Inseln, die nur durch einen schmalen Seekanal von nicht mehr als 50m Breite getrennt und wiederum durch Brücken verbunden sind. Die beiden, etwa gleich großen Inselteile, die in ihrer Gesamtheit auf der Karte mit Fantasie die Form eines Schmetterlings ergeben, könnten unterschiedlicher nicht sein. Während der östliche Teil Grande-Terre relativ flach ist und paradiesisch-karibische Traumstrände vorweisen kann, ist die westliche Insel Basse-Terre im Prinzip ein riesiger Vulkan und daher sehr bergig. Die Strände dort erinnern an die dunkelsandigen Kanarenstrände. Wir konzentrieren uns auf Basse-Terre, denn heute steht der sprichwörtliche Höhepunkt unserer Reise bevor. Wir beabsichtigen, dem höchsten Punkt der Antillen und aktiven Vulkan „La Soufrière“ aufs Dach zu steigen, um durch den fauchenden Schlot ins Erdinnere zu schauen.

Diese Wanderung wurde ausdrücklich als sehr anspruchsvolle Tour deklariert, die sehr gute Kondition, geeignete Ausrüstung, Trittsicherheit und Schwindelfreiheit voraussetzt. Wir treten diese Wanderung also mit dem erforderlichen Respekt an. Glücklicherweise wurde unsere Wanderausrüstung nach der gestrigen Schlamm- und Regenschlacht auf Dominica wieder einigermaßen trocken, auch wenn am Morgen noch ein Haartrockner für die Wanderstiefel zweckentfremdet werden musste.

Unsere kleine Wandergruppe wird mit einem richtigen Bus über gut ausgebaute Straßen -sogar eine Autobahn zählt dazu-zum Ausgangspunkt unserer Wanderung am Fuße des Vulkans gebracht. Da heute Sonntag ist, sind die Straßen relativ leer. Unterwegs müssen wir kurz rechts ranfahren, da ein professionelles Radrennen die gesamte Breite der Straße für sich beansprucht. Das bunte Fahrerfeld rauscht inklusive Begleitfahrzeugen an uns vorbei. Das lief wirklich ab wie bei der Tour de France. Typisch französisch eben. 

Die Insel Guadeloupe ist landschaftlich sehr schön. Ein einziger üppiger, blühender tropischer Garten zieht an uns vorbei. Aber obwohl wir nicht weit entfernt sind von den anderen Antilleninseln, hier das gleiche Klima herrscht und die gleichen Pflanzen wachsen, ist das hier eine andere Welt. Alles wirkt aufgeräumt, sauber und ordentlich. Aber man muss sagen, dass dadurch auch ein wenig das bisher so karibische Flair verloren geht. Es fehlen die bunten Menschengruppen, die einfach so in den Straßen herumhängen, die windschiefen, betagten Holzhütten im karibischen Stil, ja selbst der Müll in den Straßen fehlt. Statt dessen: Gewerbeparks mit Autohäusern, Baumärkten und  Einkaufszentren, ruhige, durchgeplante Vorstädte mit akkuraten Reihenhäusern in Reih und Glied, menschenleere Straßen und Plätze (na gut, es ist Sonntag), Dorfplätze mit liebevoll angelegten Blumenrabatten, bekannte Fast-Food-Ketten und gigantische Supermärkte. Das ist nicht Karibik, das ist durchgenormtes Europa unter Kokospalmen.

Nur einer lässt sich nicht in eine EU-Norm zwängen, ist wild, unberechenbar und unbeugsam, nämlich der Vulkan Sufrière. Man bekommt ihn nicht häufig zu Gesicht. Die meiste Zeit des Jahres versteckt er sich in den Passatwolken. Hier auf der Insel sagt man, der Vulkan sei ein schüchternes Mädchen, da es sich im Französischen um eine Sie handelt, „La Soufrière“, was übersetzt so viel bedeutet wie die Schwefelige. Weil SIE so schüchtern sei, verstecke SIE ihre wahre Schönheit also unter einem Kleid aus dichten Wolken. Am Fuße des Vulkans fallen uns viele schöne ältere Häuser und Grundstücke auf, die verlassen scheinen. Tatsächlich wurden viele Anwesen hier von ihren Eigentümern aufgegeben, weil der Vulkan eine tickende Zeitbombe ist. Es ist jederzeit mit einem erneuten Ausbruch zu rechnen, wobei man noch nicht einmal die Art des Ausbruchs voraussagen kann. Dieser kann entweder so aussehen, dass riesige Gesteinsbrocken herausgeschleudert werden oder Lava den Berg hinabströmt. Im schlimmsten Fall könnte eine heiße Aschewolke ringsherum alles bedecken (pyroklastischer Strom) wie einst in Pompeji. Der letzte Ausbruch fand übrigens im Jahre 1976 statt. Aber der Vulkan bzw. die Schwefelige steht unter strenger Beobachtung. Er bzw. sie ist gespickt mit Messstationen und Sonden, die jegliche Regung sofort wahrnehmen. Auch darf man sich diesen Vulkan nicht klassisch mit einem großen Vulkankegel in der Mitte vorstellen, vielmehr befinden sich im Gipfelbereich mehrere kleine Krater, die unablässig giftige Gase, hauptsächlich Schwefeldämpfe freisetzen. Der unmittelbare Bereich um die Krater ist abgesperrt und für die Öffentlichkeit unzugänglich, um gesundheitliche Schäden durch die giftigen Dämpfe zu vermeiden aber auch, um die empfindlichen Messsonden vor den herumtrampelnden Horden zu schützen. Zwei Wege führen hinauf zum Gipfel. Beide Routen starten gemeinsam im üppigen, wunderschönen Regenwald und trennen sich an einem ehemaligen Parkplatz oberhalb der Baumgrenze, der aus Sicherheitsgründen nach dem Ausbruch im Jahre 1976 gesperrt wurde.

Von hier aus führt ein relativ einfacher Weg hinauf und endet an einem Aussichtspunkt in sicherer Entfernung zu den Kratern. Dieser Weg wird gerade heute am Sonntag von vielen einheimischen Wanderfreunden genutzt. 

Wir hingegen haben eine junge charmante Bergführerin aus Avignon, die auf den schönen Namen May hört, an die Seite bekommen und dürfen so mit einer Sondergenehmigung die andere Route gehen, die abseits der Touristenpfade sehr steil und anspruchsvoll direkt zu den Kratern führt. Viel nehmen wir von unserer Umgebung nicht wahr, denn wir befinden uns in den Passatwolken. Brillen und Kameraobjektive beschlagen und man benötigt Füße und Hände zum Aufstieg.

Ein typischer Schwefelgeruch nach faulen Eiern liegt bereits hier unten in der Luft. Teilweise erschwert ein scharfer, kühler Wind das Halten des Gleichgewichts. Unglaublich! Gerade waren wir noch im schwül-warmen Regenwald und jetzt hängen wir bei rauem Klima in einer Bergwand. Es ist vielleicht ganz gut, dass wir nicht weiter als vielleicht 15 Meter sehen können. So können wir nur erahnen, wie viel Schwindelfreiheit ohne diese Wetterbedingungen und guter Sicht erforderlich wäre, um hier keine weichen Knie zu bekommen. Schließlich erreichen wir einen Punkt, von dem an es für uns nur noch unter einer Atemschutzmaske weitergeht. May erklärt kurz, wie man so ein Ding anlegt, damit es auch wirklich funktioniert und schon sehen wir alle aus und hören uns an wie Darth Vader aus Star Wars. Es kostet reichlich Überwindung mit so einem Ding auf Mund und Nase einen Berg zu erklimmen und dabei schnell ausser Atem zu geraten. Und dann ist er da, der erste Krater, direkt vor unseren Füßen! Ein laut fauchendes und in der Tiefe brodelndes Ungetüm. Durch die ausströmenden Gase ist das umliegende Gestein gelb oder manchmal auch grau gefärbt. Trotz der Atemschutzmaske riecht es nach faulen Eiern und es brennt in den Augen. Wir wandern von Krater zu Krater durch Teufels’ Küche sozusagen. Man spürt, dass hier eine enorme Energie freigesetzt wird, in einer uns bisher unbekannten Form und von uns bisher unbekannten Kräften. 

Irgendwann erscheint vor uns im Nebel die Absperrung, die uns von Sonntagsausflüglern ohne Sondergenehmigung trennt. Wir mischen uns unters Volk, dürfen uns von den Masken befreien und steigen die deutlich bequemere Route den Berg hinab. Die gesamte Wanderung hat etwa vier Stunden gedauert und uns wirklich alles abverlangt. 

Es ist ein schönes Gefühl, als uns wieder die Wärme des Regenwaldes umgibt. Und da wir uns ja in Frankreich befinden, kann so ein Ereignis nicht ohne ein Essen beendet werden. So sitzen wir alle erschöpft aber überglücklich auf einem Rastplatz im Regenwald und machen uns über ein Picknick her, das eigens ein Catering-Service für uns hier heraufgebracht hat. Die besondere karibische Note: Es gibt keinen Rotwein, wie sonst in Frankreich üblich, sondern, ihr ahnt es bereits: Wieder einmal Rumpunsch!

Der Bus bringt uns schließlich quer über die Insel Basse-Terre zurück zur Hauptstadt Guadeloupes, die den komplizierten Namen Pointe-à-Pietre trägt. Dort wartet die AIDAPerla auf uns. Sie ist bereit für die große Überfahrt über den Ozean. Fast 5.000km Wasser trennen uns jetzt noch von Teneriffa. Am Schiff angekommen erwartet uns noch eine kleine Überraschung. Auf der Pier direkt vor dem Schiff hat sich das Personal des Housekeepings (zu deutsch: das Kabinenreinigungspersonal) versammelt und tobt sich vor den sechs Seetagen noch einmal in einer gemeinsam eingeübten Tanzperformance aus. Zur Begrüßung auf dem Schiff gibt es, ein letztes Mal…Rumpunsch!

Der Plan ist, vor der Überfahrt noch schnell das superschnelle Internet auf der Insel zu nutzen, um die Fotoalben hochzuladen und das Tagebuch auf den Stand des Vortages, also Dominica, zu bringen. Dafür ist noch ein wenig Zeit, da wir erst um 18 Uhr auslaufen. Nun passiert etwas, womit keiner rechnen konnte. Das Schiff macht eine Viertelstunde zu früh die Leinen los. Meine Frau steht noch unter der Dusche und, viel schlimmer, ich bin beim Hochladen. Nun kommt Hektik auf, um die gigantischen Datenpakete noch abzusetzen, bevor mir die Mobilfunkverbindung auf See verloren geht. Ob alles geklappt hat, kann ich erst sehen, wenn wir das nächste Mal ein Netz haben. Zwar hat das Internet auch an Bord zu deutlich überhöhten Preisen bisher ganz gut funktioniert und wir haben es gelegentlich genutzt, um mal Mails und Whatsapp-Nachrichten abzurufen oder auch mal einen Tagebucheintrag hochzuladen, aber mit dem Ablegen hat sich auch das Bordnetz verabschiedet. Es bleibt spannend, wann wir wieder Kontakt zur Aussenwelt aufnehmen können. Wir hoffen, dass das nicht erst auf Teneriffa der Fall sein wird.

Nun stehen uns sechs Seetage bevor und wir können erst einmal in Ruhe die überwältigende Menge an Eindrücken verarbeiten, die wir von den karibischen Inseln mitgenommen haben.

Mehr Bilder zu Guadeloupe werden wir im Fotoalbum veröffentlichen, sobald wir wieder gutes Internet haben.

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